Aufklärung zum Thema Drogen

Drogen im Schamanismus

In der Doktorarbeit „Halluzinogene Drogen im Schamanismus“ fasst die Autoren Alexandra Rosenbohm ihre Ergebnisse zusammen. Diese Zusammenfassung wird hier komplett zitiert:

Über den Gebrauch halluzinogener Drogen finden sich in den letzten Jahrzehnten nicht nur Arbeiten der Ethnologie, sondern auch aus anderen Disziplinen, insbesondere der Religionswissenschaft, Theologie, Pharmakologie, Psychologie, Biologie und Medizin. Die Ergebnisse dieser Disziplinien fließen auch in der Forschungsgebiet der Ethnobotanik mit ein.

Halluzinogene werden in ‚traditinellen Gesellschaften‘ selten in hedonistischem Sinne als Rauschmittel benutzt. Ihre Wirkungen weren meist für spezielle magische und religiöse Zwecke eingesetzt. Wie ich in der vorliegenden Arbeit dargestellt habe, ist die Wirkung von Halluzinogenen neben der pharmakologischen Wirkung noch von anderen Faktoren abhängig.

Es sind dies die Persönlichkeit des Konsumenten, seine Motivation und Stimmung, außerdem das kulturspezifische Glaubenssystem, wie Mythen und Religion, welches auf Werte und Symbole des visionären Inhaltes der Halluzinogenen-induzierten Ekstase wirkt. Der Schamane nimmt hinsichtlich des Gebrauchs halluzinogner Drogen meist einen besonderen Status ein. Die Drogen werden von ihm selten aus hedonistischen Gründen eingenommen, sondern zur Induktion der Ekstase.

Inhalt der Arbeit ist es, den mythischen Hintergrund und den Ablauf der rituellen Prozesse des schamanischen Halluzinogen-Begrauchs zu untersuchen. Dies geschah anhand kulturell sehr unterschiedlicher und weit voneiander entfernten Ethnien: Der sibirischen Uraliener und Paläoasiaten (Fliegenpilz), der mexikansichen Mazateken (Psilocybinpilz) und Huichol (Peyote-Kaktus) sowie der kolumbianischen Tukano (Yajé-Liane).

Die Zeremonien dieser unterschiedlichen Kulturen sind in einem strukturiertem Schema wiedergegeben, woraus folgende Ergebnisse klar erkennbar sind:

* Die Ekstase ist durch einen Wechsel von der Alltagswelt in die spirituelle Welt gekennzeichnet. Für den Kontakt mit der spirituellen Welt bedarf es physischer und psychischer Vorbereitungen. Diese und die zu schaffenden Rahmenbedingungen beziehen sich auf das Sammeln, die Zubereitung und die Einnahme der Droge, außerdem auf die dazugehörenden oder zu Schaffenden Umstände, wie Anlass, Wahl des Einnahmeortes und des Zeitpunktes.

* Der visionäre Gehalt Halluzinogen-induzierter Ekstasen dient in allen Fällen kulturell spezifizierten Zielen wie Divination, Opferungen, Jagt- und Regenzauber, außerdem – bis auf die Huichol – der Diagnose von Krankheiten.
In den kollektiven Halluzinogen-Zeremonien der Huichol und Tukano fungiert der Schamane als eine Art Führer. In seiner Kompetenz liegt in solchen Zeremonien besonders die Interpretation der Visionen der anderen Stammesangehörigen.

* Das gemeinsame Erleben religiöser und mythischer Themen im Rausch und deren Betonung und Prägung durch die schamanische Interpretation soll zur Stabilisierung des jeweiligen Weltbildes beitragen. Insofern tragen diese Erlebnisse auch zur kulturellen Identität bei. Dies gilt ebenso für die nicht-kollektiven Zeremonien, an denen neben dem Schamanen auch der zu behandelnde Patient oder andere Stammesmitglieder das Halluzinogen einnehmen.

* Da diese Drogen nur dann im gewünschten Sinne effektiv sein können, wenn man vorher wenig oder gar nichts gegessen hat, wird in der Regel in diesem Zusammenhang gefastet oder eine bestimmte Diät eingehalten.

* Eine rituelle Reinigung von negativen Einflüssen findet durch Räucherungen der Person des Schamanen selbst, des Ortes der Séance, der Opfergaben und des Halluzinogens statt (uralier, mazateken). Ausserdem zähle ich die sexuelle Enthaltsamkeit zu den symbolischen Reinigungen, da mit ihnen der ‚Status der Sterblichkeit‘ aufgegeben und auf die mythische Zeit, in der keine der sonstigen menschlichen Bedürfnisse existieren, hingewiesen wird (Mazateken, Huichol, Tukano). Bei den Schamanen der Tukano findet die allererste Einnahme des Halluzinogens überhaupt in der Einsamkeit, und zwar während der schamanischen Initiation statt.

* In allen untersuchten Beispielen sind während der Vorbereitungen Handlungen oder Gebote der unterschiedlichsten Art enthalten, welche der Vermeidung von Gefahr dienen. Meist sind Warnungen vor der Gefährlichkeit des Halluzinogens Anlass für solche Sicherheitsmaßnahmen. Sie sollen das Halluzinogen als gefährliche und mächtige Droge kennzeichnen. Nicht jeder kann oder darf sie benutzen. Die Folgen der Mißachtung dieser Warnungen und Vorschriften sind in jedem Fall eine schlechte Rausch-Erfahrung sowwie Nichtzustandekommen des Kontaktes bzw. die Nicht-Beantwortung von Fragen an die Geister oder Gottheiten. Die Gefahr drohender Krankheit, des Wahnsinns oder sogar des Todes des Konsumenten werden häufig genannt oder zum mindesten als vorsorgliche Warnung formuliert.

* Im Hinblick auf den Kontakt des Schamanen mit der spirituellen Welt finden bei den Uraliern, den Mazateken udn Huichol vor oder nach der Séance Opferhandlungen statt. Man opfert denjenigen Gottheiten oder Geistern, welche in irgendeiner Hinsicht das Anliegen der Kunsultation beeinflussen könnten oder es zu einem positiven Ende geführt haben.

* In fast allen Beispiel wird das Halluzinogen nachts und an einem von Störungen freien Ort eingenommen. Die Droge intensiviert die Sinneswahrnehmung. Deswegen wird darauf geachtet, dass kein Lärm und kein Licht die Séancen stören.

* Die Institution der Halluzinogen-Einnahme bzw. der Trance wird in allen Beispielen durch Mythen und Sagen unterstützt. In ihnen wird dargelegt, wie das Halluzinogen entstand und auf welche Weise die Menschen den Umgang mit ihm lernten. Sie handeln auch von der Kommunikation zwischen Menschen und Göttern im Zusammenhang mit dem Halluzinogen und bieten somit Information über die Inhalte der Ekstase.

* Im Ritual versucht der Schamane, zusammen mit den anderen Konsumenten die Geschehnisse der Vorzeit und das Verhalten der Göttlichen Ahnen zu wiederholen. Die sich auf das Halluzinogen beziehenden Mythen werden oft vor der Zeremonie rezitiert. Sie geben der Droge und ihrer Zeremonie die spirituelle Bedeutung.

* In den Halluzinogen-Mythen aller untersuchten Beispiele wird die sakramentale 1 Bedeutung des Halluzinogens dargelegt: Das Halluzinogen entstand aus einer körperlichen Substanz der Gottheit: Speichel (Paläoasiaten) sowie Fleisch und Knochen (Huichol, Tukano).

* Die Kraft der Substanzen dieser Drogen hat aber auch dazu geführt, dass sie sowohl im Mythos als auch im sprachlichen Umgang als eigenständige ‚Wesen‘ oder ‚Mächte‘ personifiziert werden. Eine gewisse ‚Macht‘ manifestiert sich in Sätzen wie: ‚die Welt des panx [Fliegenpilz]‘, ‚die Welt der Pilze‘, ‚die Welt des Yajé‘, ‚Yajé gibt die Bilder‘, Fliegenpilz und Psilocybinpilz ’sprechen‘ durch den Schamanen und ‚Peyote gibt das Leben‘.

* Personifizierungen der Droge tauchen in der Ekstase auf. Nicht nur bei den uraliern und Paläoaisiaten existiert ein Volk der Fliegenpilz-Leute, sondern entsprechend auch bei den Tukano ein Volk der Yahé-Leute. Bei den Huichol ist die Droge in personifizierter Form gleichzeitig der mythische Hirsch und der Gehilfe von Tatewari, ‚Älterer-Bruder-Hirsch‘. In den Mythen werden die Halluzinogene auch mit anderen Gottheiten oder Kulturheroen in Zusammenhang gebracht.

* Die Seelenreise gestaltet sich kulturell und dem Anlass gemäß unterschiedlich. Der Schamane ist der professionelle Vermittler zwischen der Alltagswelt und der spirituellen Welt der Götter und Geister. Er kennt beide Welten, denn in den Mythen sind die entsprechenden Kenntnisse enthalten. Für ihn ist das Land der Seelenreise ‚kartographiert‘. So kann er seiner Gemeinschaft den Weg zeigen und den Anwesenden interpretieren, was auf seinen Seelenreisen erlebt hat und was sie während der Séance beobachten konnten. Indem der Schamane seine Seelenreise ritualdramatisch in die mythische Welt unternimmt und davon berichtet, revitalisiert und bestätigt er die den Mythen zugrundeliegende Welt-Ordnung.

Die herausgearbeiteten detaillierten und komplizierten Glaubens- und Wertesysteme, welche sich auf den Halluzinogen-gebrauch beziehen, begründen meine Auffassung, dass die pharmakologische Ekstasetechnik gegenüber der psycho-physischen keine rezente oder einfachere Methode der Kultausübung ist. Es ist vielmehr zu vermuten, dass der menschlichen Kultur der Drogengebrauch seit ihrem Anfang immanent ist.
Fussnoten:

1 = Sakrament [von mittelalterlich sacramentum „religiöses Geheimnis“, zu lat. sacramentum „Weihe, Verpflichtung“], Benennung wirksamer äusserer Zeichen (z.B. Wasser, Wein, Brot, Öl), die, in feierlicher Weise gespendet, göttliche Gnade und eine Kommunikation zwischen der Gottheit und den Menschen vermitteln. In diesem Sinne sind Sakramente in sehr vielen Religionen bekannt. Quelle: Meyers Taschenlexikon.
Quelle:

Alexandra Rosenbohm „Halluzinogene Drogen im Schamanismus“, erschienen im Dietrich Reimer Verlag. Diese Dissertation ist wohl nur schwer im Handel zu erwerben.

Die Autoren hat aber auch ein anderen Buch geschrieben, welches bei Amazon schnell lieferbar ist: „Schamanen. Zwischen Mythos und Moderne“.

 

Image: © Derek R. Audette / Dollar Photo Club